
Im Herbst zeigt sich die Schöpfung in einem letzten Glanz, vor allem in der Pflanzenwelt. Die Blätter der Bäume beginnen zwischen Rot und Gelb zu leuchten, bevor sie fallen. An sich ist das kein Zufall, sondern ein natürlicher Vorgang: Wenn das Chlorophyll verschwindet, treten die Farben hervor, die schon immer im Blatt enthalten waren. Der Baum verliert also das Grün, das ihn verdeckte. Dieser Verlust macht den Baum in unseren Augen schön.
Dieses sichtbare Gesetz gilt auch für das Leben des Menschen. Im eigenen Vergehen offenbart sich, was übrigbleibt. Der Herbst wird so zu einer stillen Parabel über das Ende, das das Wahre enthüllt.

Das Sichtbare vergeht – das Wahre bleibt
Was wir im Herbst beobachten, ist nicht bloß ein Naturbild. Es ist eine Aussage über die Ordnung der Schöpfung selbst. Das Vergehen ist kein Irrtum, es gehört zur Vollendung. Vergehen kann nur etwas bedeuten, wenn es vorher gelebt und vom Leben getragen worden ist. Paulus schreibt: „Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich“ (1 Kor 15,42). Für uns Menschen hat das Vergängliche also diese Bedeutung: Es verweist auf das Unvergängliche.
Auch Thomas von Aquin erklärt, dass Schönheit immer mit Ordnung und Ziel verbunden ist (vgl. Summa Theologiae I, q. 39, a. 8). Der Herbst zeigt diese Ordnung deutlich: Das Leben zieht sich zurück, damit Neues entstehen kann. Die Farben der Blätter sind kein Schmuck am Ende, sondern ein Hinweis darauf, dass selbst im Zerfall Form und Sinn bestehen.
Schönheit widerspricht dem Ende nicht. Sie wird sichtbar, wenn das Ende kommt. Im Glauben zeigt sich darin die Wahrheit des Lebens: Alles, was vergeht, trägt eine Spur des Ewigen in sich.

Das Vergehen als Zeugnis des Schöpfers
Der Baum verliert sein Laub, bleibt aber im Stamm lebendig. Er wehrt sich nicht gegen den Wechsel der Jahreszeiten und folgt ihm treu. Darin zeigt sich seine stille Würde. Der Herbst macht sichtbar, dass Vollendung im Zulassen des natürlichen Ablaufs liegt und nicht im Festhalten.
Christus hat dieses Gesetz in seinem Leben deutlich gemacht. „Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24), lehrt Er. Das Weizenkorn stirbt nicht vergeblich, es wandelt sich zu etwas Größerem. Ähnlich wird das Leuchten der Blätter im Herbst zu einem Zeichen des Glaubens: Das Ende enthält immer einen Neuanfang.
Die Schönheit des Herbstes liegt darin, dass das Sichtbare vergeht, ohne dass es bedeutungslos wird. Auch wir dürfen Wandel annehmen. Dann erkennen wir, dass Vergängliches einen festen Platz in Gottes Ordnung hat.

Die Ruhe nach dem Leuchten
Das Feuer der Bäume ist ein Hinweis auf das Ziel des Lebens. Die Farben des Herbstes künden davon, dass Gott das Vergehende nicht abwertet. Es hat seine eigene Schönheit, weil es seine Aufgabe erfüllt. Paulus schreibt: „Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert“ (2 Kor 4,16). Das Ende zeigt die Schönheit der Schöpfung und ihre innere Ordnung.
Der Herbst lehrt, dass das Ende kein Verlust der Schönheit ist. Das Sichtbare vergeht, doch in Gottes Plan bleibt alles bestehen. Vergänglichkeit kann so zur Offenbarung der Wahrheit werden. Das Ende ist kein Widerspruch zur Schönheit. Es ist ihr letzter, wahrster Ausdruck.


